Wie geht’s eigentlich einer kleinen Bäckerei in der Corona-Krise? Was hat sich geändert, was ist gleich geblieben – und wo sind die Herausforderungen? Wird jetzt mehr Brot gekauft als früher – oder weniger? Uns erreichen viele Fragen dazu, deshalb gibt’s hier die sehr persönlichen Antworten von Helmut auf eure Fragen:
Bäckt Gragger & Cie jetzt anders als vor der Corona-Krise?
Nicht wirklich. Unser Sortiment ist im Großen und Ganzen gleich geblieben. In der Spiegelgasse ist der Umsatz stark zurückgegangen, aber das wird durch unsere „Nahversorger-Standorte“ in der Siebensterngasse, in der Josefstädter Straße und am Vorgartenmarkt in etwa ausgeglichen. Und bei uns bekommt man ja auch Milch, Butter, Joghurt und andere Lebensmittel des täglichen Bedarfs, was gerne angenommen wird, wenn man schon beim Bäcker ist. Was wir schon stark merken, ist eine Verlagerung hin zum Brot: die Menschen kaufen weniger Mehlspeisen und Gebäck ein, dafür mehr Brot. Verständlich: So einen 2-Kilo-Laib Brot daheim zu haben, gibt schon ein Gefühl von Sicherheit.
Bringt die Krise kleine Bäckereien wie eure in eine Krise in der Krise, weil alle im Supermarkt einkaufen oder gar selber Brot backen?
Für die Spiegelgasse war ein Umsatzrückgang absehbar, vor allem weil wir auch wissen, wie die Sommer im ersten Bezirk sind: der Umsatz geht stark zurück, weil die Einkaufsdynamik durch die Büros und die Geschäfte fehlt. Man merkt halt, dass der erste Bezirk in Wirklichkeit relativ wenig Einwohner_innen hat. Aber dadurch, dass wir wissen, wie die Sommer im ersten Bezirk sind, war es für uns auch kein so extremer Einbruch bzw. etwas, worauf wir reagieren konnten. Zusätzlich wird es durch die anderen Standorte relativ gut ausgeglichen. Wir sind dankbar, dass wir offen haben dürfen und unsere Mitarbeiter_innen Arbeit haben. Aber deshalb ist es jetzt auch so wichtig, dass man nicht nur im Supermarkt einkauft, sondern bei den kleinen Nahversorgern ums Eck: im Bauernladen, bei den Obst- und Gemüsehändler_innen, in der Fleischerei. Die haben jetzt alle offen, damit die Grundversorgung gesichert ist, und das sollte man auch anerkennen, indem man dort einkauft.
Außerdem glaube ich, dass man in schwierigen Situation noch viel mehr auf hochwertige, gute Lebensmittel achten sollte. Dass die Menschen jetzt mehr Brotbacken finde ich persönlich sehr positiv. Dadurch bekommt das Lebensmittel Brot eine ganz neue Wertigkeit: durch das Selber-Backen lernt man, worauf es ankommt, damit es schmeckt: nämlich hochwertige, natürliche Zutaten und Handarbeit.
Wie habt ihr auf die Einschränkungen reagiert bzw. wie schützt ihr eure Mitarbeiter_innen?
Wir haben relativ früh reagiert: wir haben schon eine Woche vor Bekanntwerden der Maßnahmen unsere Arbeitsabläufe angepasst. Wir haben von Beginn an mit unseren Mitarbeiter_innen gesprochen, um sie auf die Veränderungen vorzubereiten. Wir haben das Arbeiten in getrennten Schichten gestartet und halten seither die Teams, die zusammenarbeiten, klein. Wesentlich ist bei uns auch, dass wir aufeinander schauen: jeder Mitarbeiter, jede Mitarbeiterin reagiert anders auf diese Situation und wir müssen auf alle gut Acht geben. Kolleg_innen aus der Risikogruppe haben wir gleich bei Beginn freigestellt, um sie nicht in Gefahr zu bringen. Auch auf die schwierige Situation von Kolleg_innen, die ihre Kinder jetzt zuhause betreuen müssen, versuchen wir besondere Rücksicht zu nehmen.Wichtig war es uns, Maßnahmen zu setzen, bevor sie von der Regierung verlangt wurden, um nicht von der Hektik überrollt zu werden.
Mit unseren Kund_innen haben wir es genau so gemacht: wir haben die Hygienemaßnahmen an allen Standorten erhöht (z.B. Mund-Nasen-Schutz für alle, immer nur ein Kunde/ eine Kundin in der Filiale etc.) und sie unseren Kund_innen kommuniziert, damit sie nicht beunruhigt sind. In der Spiegelgasse und am Vorgartenmarkt nützen wir unseren praktischen Gassenverkauf und das wird sehr gut angenommen.
Gab es bei euch auch Hamsterkäufe?
In den Tagen vor Einsetzen der Maßnahmen waren wir mehrmals schon am frühen Nachmittag ausverkauft. Da war es uns wichtig, zu kommunizieren, dass es keinen Grund für Hamsterkäufe gibt, sondern dass wir am Vorgartenmarkt und in der Spiegelgasse ganz normal weiterbacken und unsere Kund_innen auch weiterhin mit gutem Brot und Gebäck versorgen. Für uns hat es auch jetzt oberste Priorität, dass die Qualität von Brot und Gebäck stimmt. Denn es gibt auch eine Zeit nach der Krise.
Funktioniert das mit dem Abstand-Halten auf den Märkten?
Wir stehen jede Woche auf einigen Märkten und aus unserer Wahrnehmung heraus halten sich 80 bis 90% der Menschen an die Abstand-Vorgaben und wir haben keine Schwierigkeiten. Wir kommunizieren aber auch unsere erhöhten Sicherheitsmaßnahmen proaktiv, das sorgt für Sicherheit. Dass die Märkte offen bleiben ist wichtig, denn Märkte sind wichtige Nahversorger und bieten gerade Bauern und Bäuerinnen einen wichtigen Absatzmarkt.
Was ist euch im Bezug auf die Krise wichtig?
Zum einen wie wichtig es ist, wo wir einkaufen. Bei lokalen Nahversorgern, bei Bauern und Bäuerinnen, bei kleinen Produzentinnen und Produzenten. Wir müssen unsere Kleinstrukturiertheit über die Krise hinaus aufrecht erhalten, auch in der Stadt. Das ist es, was unsere Landwirtschaft und Esskultur ausmacht.
Zum anderen ist es mir wichtig, dass wir jetzt nicht in Egoismus verfallen. Diese Krise ist eine globale, menschliche Tragödie, die nicht an der Grenze Österreichs oder Europas endet. Durch unsere Social-Business-Projekte habe ich eine ganz enge Verbindung zu Afrika, wo die Auswirkungen noch viel schlimmer sein werden als bei uns: die Menschen leben auf engstem Raum unter schlechten, hygienischen Bedingungen. Diese Krise macht die Ungleichheit der Welt deutlich sichtbar und zeigt auch, wer Chancen hat und wer nicht. Mir ist es wichtig, dass wir uns jetzt nicht abschotten und nicht auf die Menschen in Afrika vergessen – oder auch auf die Menschen in den Flüchtlingslagern an der europäischen Grenze.